"zusammen", Heft 1/05

Der grenzenlos kreative Festivalmacher Andreas Meder veranstaltet seit 1997 integrative Theaterfestivals in Mainz
von Tom Wolf *

Er hat sich vorgenommen, das Zusammenarbeiten von behinderten und nichtbehinderten KünstlerInnen aktiv zu fördern und die Ansicht in Frage zu stellen, dass das Kreativsein beider Gruppen als verschiedenartig voneinander getrennt betrachtet werden sollte. Mit seinem seit 1997 erfolgreichen Theaterfestival "Grenzenlos Kultur" hat der Berliner Andreas Meder ein ganz besonderes Projekt auf die Beine gestellt. Tom Wolf hat den Festivalmacher besucht und porträtiert.

Eigentlich erwartete ich einen wuchtigen Mann gesetzten Alters, samt dickem Bauch und großkarierter Weste unterm Jackett. Abgebrüht vom ständigen Kampf mit Kulturbehörden, SchauspielerInnen und Roadies würde dieses Fabelwesen beiläufig die goldene Uhr angeln, den Deckel aufschnappen lassen und mir freiem Journalisten erklären, dass ich mich gefälligst kurz zu fassen hätte – seine Zeit als Kulturmagnat sei viel zu kostbar, um sie plaudernd mit Meinesgleichen zu vertun. Doch der Festivalmacher Andreas Meder, der mich bei sich zu Hause empfängt, ist zum Glück ganz anders. Ob ich Tee möchte, werde ich freundlich gefragt und bejahe. Alles in der ruhigen Berliner Dachwohnung wirkt so versammelt und konzentriert wie mein Gegenüber. Schon erzählt der hochgewachsene, jugendliche Mensch am langen Naturholztisch mit vornehmer Zurückhaltung von seiner Arbeit, dem Veranstalten von integrativen Kultur-, vornehmlich Theaterfestivals, als sei der Weg dorthin des Erwähnens gar nicht wert.

Grenzenlos Kultur

Eine viel Raum einnehmende, umzugsgeplagte Goethe-Ausgabe in den Bücherregalen deutet zumindest auf ein absolviertes Germanistikstudium hin. Den Weg des Buchgelehrten einzuschlagen und sein Leben etwa im Elfenbeinturm der Geisteswissenschaften zu verbringen, war Andreas Meder indes nie ernsthaft eingefallen. 1996 wurde er hauptamtlicher Geschäftsführer der Lebenshilfe gGmbH Kunst und Kultur in Mainz und übernahm ohne Zaudern die gemeinnützige Aufgabe (das kleine g vor GmbH ist kein Schreibfehler!), ein gewaltiges internationales Festival mit 350 behinderten und nichtbehinderten KünstlerInnen aus neun Ländern zu organisieren. Im Titel dieses Events: "Grenzenlos Kultur" war Andreas Meders Auffassung von integrativer Kreativität bereits zur Gänze enthalten. Er hatte sich vorgenommen, das Zusammenarbeiten von behinderten und nichtbehinderten KünstlerInnen aktiv zu befördern und die Ansicht in Frage zu stellen, dass das Kreativsein beider Gruppen als verschiedenartig voneinander getrennt betrachtet werden sollte. Kreativität lässt den Gedanken an Ausgrenzung absurd erscheinen, denn sie eignet uns allen. Und was bedeutet letztlich Integration? Nicht einseitig Eingliederung einer kleinen Gruppe in eine große, sondern umfassend: die Herstellung einer Einheit – etwa das Zusammenführen von Menschen, die bislang isoliert voneinander lebten.

Gibt es Grenzen?

Auf die Frage, ob nicht doch eine Grenze zwischen der Kreativität von behinderten und nichtbehinderten Menschen vorhanden sei, wiegt Andreas Meder den Kopf: Es gibt sie – allerdings nur, weil sie voreilig und teils vielleicht aus Angst und Unkenntnis gezogen wird. Die schöpferische Kraft, also die Fähigkeit, mit einem allen Menschen verständlichen Fundus an Zeichen Neues, nie Erlebtes hervorzubringen, haben körperlich und geistig Gehandicapte ebenso wie Handicaplose. Menschen mit geistiger Behinderung fällt es in vieler Hinsicht leichter, kreativ zu sein und sich künstlerisch auszudrücken. Für Nichtbehinderte dagegen ist gerade die unbeschränkte Verfügungsgewalt über alle künstlerischen Mittel oft der größte Hinderungsgrund, kreativ zu werden; sie erschaffen sich durch übermäßige ästhetische Hinterfragung der eigenen Arbeit eine künstliche Behinderung, die sie unfrei agieren lässt. Bei den Festivals, die Andreas Meder als künstlerischer Leiter veranstaltet, können nichtbehinderte KünstlerInnen viel für ihre Weiterbildung tun.

Breitenwirkung

Es ist Andreas Meder nicht zuletzt um Wiederherstellung einer geistigen Einheit der Kunst zu tun. Die internationale Komponente der von ihm organisierter Festivals wird dabei fast nebensächlich. Durch die aktive mediale Mitwirkung des in Mainz sitzenden SWR-Fernsehens konnte das integrative Theater eine hier zuvor nie gekannte Breitenwirkung erzielen. Andreas Meder ist überzeugt, dass sich bereits eine deutliche Veränderung im Umgang zwischen Nichtbehinderten und Behinderten sowie eine Neubewertung behinderter KünstlerInnen abzeichnet. Für die Akteure mit Handicap resultierte aus den Mainzer Festivals eine enorme Steigerung des Selbstwertgefühls und künstlerischen Renommees; nur die wenigsten Ensembles geistig behinderter SchauspielerInnen haben eigene Bühnen für regelmäßige Aufführungen – Ausnahme etwa ist die französische Gruppe Création Ephémere aus Millau, mit der Andreas Meder 2006 als Co-Produzent ein neues Theaterstück herausbringen will. Versteht sich fast von selbst, dass die Vorbereitungen für "Grenzenlos Kultur vol. 7" bereits angelaufen sind. Vom 9. –24. September 2005 soll es beim nächsten integrativen Theaterfestival in Mainz um die großen Erzählungen der Politik, um die Utopien und Schreckensvisionen der Wissenschaften gehen. Behinderte und nichtbehinderte KünstlerInnen werden das Thema "Kultur und Wissenschaft" des nächstjährigen Kultursommers Rheinland-Pfalz mit ihrer vereinten Kreativität aufgreifen. Der bewährte Vernetzer und Vermittler wird ihnen weiterhin die Bühne bereiten.

Auf Einladung übernimmt Andreas Meder auch die Projektleitung bei integrativen Kulturprojekten anderer Organisationen.

* Tom Wolf arbeitet als freier Journalist unter anderem für die taz.